Von Prof. Dr. Ulrich Kutschera (Universität Kassel)
312 Seiten
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Aufmachung: ■■■■■
Etliche Bilder aus einer katholischen Schulbibel von 1930 und Abbildungen wie dem Turiner Grabtuch, der katholischen Inquisition und Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert, in denen ein Affe mit Darwin-Kopf dargestellt wird, stimmen den Leser auf das Bild ein, das der Autor U. Kutschera in seinem Buch vom Evolutionskritiker zeichnet: Diese seien nämlich ’naturwissenschaftlich ungebildete‘ (S.77), ‚aggressive‘ (S.258) Menschen mit ‚emotionalen Schranken‘ und einer ’naiven Gottesgläubigkeit‘ (S.50) sowie ‚irrational, dogmatischer Argumentationsweise‘ (S.144), in deren ‚Hirnwindungen ein abstraktes Phantasiegebilde‘ entspringt (S.210), während Evolutionisten die ‚kompetenten Naturwissenschaftler‘ (S.74), die ’sachlich nüchternen Denker‘ (S.94), die ‚hochangesehenen‘ (S.221), ‚logisch-nüchtern-sachlich denkenden‘ Wissenschaftler sind, die zu ‚logisch strukturierten Darlegungen‘ (S.220) fähig sind. Diese penetrante Schwarz-Weiß-Malerei zieht sich durch das ganze Buch und geht einem einigermaßen objektiven Leser ziemlich gegen den Strich. Das kann man nicht gerade als verantwortungsbewussten Journalismus bezeichnen.
In seinem Buch lernt der Leser allerdings auch den Beweis für die Evolution kennen: Es ist der in den Köpfen von Evolutionsvertretern entstandene Stammbaum der Tierarten (!). Dieser Stammbaum wird vom Autor mit dem Stammbaum des Automobils – von der Pferdekutsche bis zum modernen PKW, LKW und Bus – verglichen (S.81-84). Unerwähnt bleibt allerdings die nüchterne Einsicht, dass der Stammbaum des Automobils peinlicherweise ein klares Signal für intelligentes Design darstellt.
Dann entwirft Kutschera eine Verschwörungstheorie verschiedener religiöser Gruppen und evolutionskritischer Vereinigungen, welche gemeinschaftlich zum ultimativen Gegenschlag ausholen, um Deutschland mit anti-evolutionistischem Gedankengut zu überschwemmen (Kapitel 5). Beim Lesen seines Buches meint man gerade, der Untergang des Abendlandes stünde bevor, wenn jemand es wagt, an der Evolutionstheorie öffentlich Kritik zu üben. Kostprobe gefällig? „Einige kompetente Fachkollegen haben die Beiträge von R. Junker und S. Scherer [beide sind Evolutionskritiker] in der PdN [Lehrerzeitschrift] mit Verwunderung gelesen […] Wird ein derartiger Erosionsprozess der naturalistischen Basis aller Naturforschungen nicht aufgehalten, so sind gravierende Konsequenzen – bis hin zum Rückfall in mittelalterlichen Aberglauben – zu befürchten“ (S.154,155). Kutschera entwirft in seinem Buch ein regelrechtes Katastrophenszenario, um dann als selbsternannter Retter der Wissenschaft in Deutschland (womöglich mit öffentlichen Mitteln) den ahnungslosen Bürger vor den ‚Täuschungsmanövern‘ (S.259) und dem ‚Propagandawerk‘ (S.257) der ‚Verkünder des ID-Dogmas‘ (S.199) zu retten! „Diese Machwerke [gemeint sind evolutionskritische Publikationen, Anm. von mir] … versuchen, die Grundlage aller wissenschaftlicher Forschung zu untergraben und sind daher eine ernst zu nehmende Gefahr für den Wissens- und Wirtschaftsstandort Deutschland“ (S.288). Wer an der Evolutionshypothese öffentlich Kritik übt, stürzt Deutschland also in den intellektuellen und ökonomischen Ruin!
Herr Kutschera informiert übrigens auch ausgiebig über verschiedene religiöse Gruppierungen und Kirchen. Offen gesagt: Wenn ich etwas über den Papst wissen will, frage ich bestimmt keinen atheistischen Evolutionsbiologen. Dass man da keine objektive Darstellung erwarten kann, wurde mir durch das Lesen dieses Buches immer wieder bestätigt. Übrigens schlägt Kutschera im letzten Satz seines Buches (unmittelbar vor dem Bild mit dem Sensenmann) dem Fass den Boden aus, wenn er die Begriffe „reine Verstandesmenschen“ und „Atheisten“ als Synonyme gleichsetzt.
Das nun wirklich um Sachlichkeit bemühte Kritische Lehrbuch von Junker und Scherer diskreditiert Kutschera als ‚buntes Bilderbuch‘ (S.148,157) und als ‚pseudowissenschaftliche Irreführung‘ der Bevölkerung (S.288). Auf die Argumente darin geht er erwartungsgemäß nicht ein, sondern nur auf die Versuche, alle 16 Kultusminister zu warnen, dieses Buch ja nicht für den Schulunterricht zuzulassen (S.162), obgleich es den Deutschen Schulbuchpreis gewonnen hat. Für die Grundtypen-Theorie, die Junker und Scherer ausführlich in ihrem Lehrbuch ausarbeiten, hat Kutschera nur Hohn und Spott übrig: „Hokuspokus – die Grundtypen sind da!“ (S.288). In diesem Satz erschöpfen sich bereits all seine Gegenargumente.
Herr Kutschera greift auch die moderne Intelligent-Design-Theorie vehement an. Seine Vorgehensweise: Er wirft sie kurzerhand mit Kreationismus in einen Topf, verteidigt diese Vermengung damit, das dies gängige Praxis sei (!) (S.199,214), behauptet ferner, ihre Argumente seien veraltet und zitiert als „Beleg“ Äußerungen einiger amerikanischer Kreationisten des 19. Jahrhunderts, um danach auf das Motivationsthema auszuweichen. Die zahlreichen Argumente der Intelligent-Design-Theorie werden in seinem Buch nicht analysiert – sehr zum Verdruss des Lesers, der sich vom Buchtitel zum Kauf verleiten ließ.
Statt dessen wird ein intelligenter Designer mit „mystischen Lebenskräften“ gleichgesetzt (der Leser erfährt nicht warum) und diese dann als pseudowissenschaftlich entlarvt (S.290). Eine Begründung für Behauptungen dieser Art findet der Leser an keiner Stelle – obwohl gerade solche Begründungen den Leser wohl am meisten interessiert hätten. Um noch einmal das Niveau dieses Buches zu verdeutlichen, ein Zitat: „So sprechen die Vertreter der ID-Bewegung auch üblicherweise ganz personenbezogen von „dem Designer“. Dem Biologen [Warum ist der Biologe bei Kutschera immer ein Mann?] drängt sich dann jedoch die folgenden Fragen auf: „Warum ist „The Designer“ ein Mann und nicht ein geschlechtsneutrales Wesen?“ (S.291, Fett von mir). Kutschera hält „the Designer“ – aus welchem Grund auch immer – für einen Mann und fragt dann, warum die Vertreter der Intelligent-Design-Theorie dies auch so sehen. Herr Kutscheras Mangel an Verständnis der Materie, insbesondere im religiös-doktrinalen Bereich, hat zur Folge, dass er auf irgendwelche grotesken Ideen kommt und dann auch noch behauptet, Intelligent-Design-Vertreter würden diesen Irrsinn verbreiten. Wenn ich dann lese, welchen Unsinn ich angeblich glaube, wird mir direkt schwindlig.
Mutig: Einige Leserbriefe von Kritikern seiner Kampagne, die Internet-Library des Genetikers Dr. W.-E. Lönnig (Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung) von der Instituts-Homepage zu entfernen, sind abgedruckt – allerdings hat er dabei die für ihn besonders unangenehmen Passagen geflissentlich weggelassen (Ein Extrakt aus meinem Leserbrief an den vdbiol wird ebenfalls wiedergegeben). An mehreren Stellen erklärt Herr Kutschera übrigens, warum er einer öffentlichen Diskussion mit Intelligent-Design-Vertretern grundsätzlich aus dem Weg geht: Mit diesen Leuten könne man nämlich nicht diskutieren (S.164f,206,259). Irgendwie bekommt der Leser Zweifel an seinen Motiven.
Fritz Poppenbergs Filme zur Evolutionstheorie werden ebenfalls mit reichlich Polemik überschüttet. Ein Briefeschreiber wird zitiert, der die mehrfach preisgekrönten Filmbeiträge für ‚infantile Sandkastenphantasie‘ hält und die In-Betracht-Ziehung eines Designers für eine simple Legende hält, die ‚aus dem Hut gezaubert‘ wird und ‚an geistiger Dürftigkeit kaum mehr zu überbieten‘ sei (S.254) – die Videos, in denen etliche Wissenschaftler zu Wort kommen, enthalten wohl doch zu viel Zündstoff.
Evolution wird vom Autor immer wieder als dokumentierte Tatsache bezeichnet. Beispiel: „Heute wissen wir auf Grund eines vielfachen und vielfältigen Beweismaterials, dass die Evolution der Organismen keine Theorie, sondern Tatsache ist.“ (S.221). Leider bekommt der wartende Leser nichts von dem vielfältigen Beweismaterial präsentiert – schon wieder nicht!
Übrigens: Auf Seite 73 erfährt der Leser endlich, was er schon lange ahnte: Die bösen Kreationisten sind per religiöser Überzeugung Umweltzerstörer und die lieben Evolutionsbefürworter sind per ethischer Grundhaltung prinzipiell Umweltschützer (kein Witz!). Und wir lernen noch etwas Wichtiges: Der Glaube an einen Designer kann dazu führen, dass man Mütter von Wissenschaftlern auf dem Scheiterhaufen verbrennt! (S.293) – ich musste es auch zweimal lesen!
Herr Kutschera äußert wiederholt seine Überzeugung, dass Menschen nur deshalb auf eine intelligente Ursache hinter funktionaler Komplexität kommen, weil sie durch ihre weltanschauliche Fixierung nicht anders können (S.286,287). Dass jemand durch die Ergebnisse methodisch-naturalistischer Forschung zu dieser Schlussfolgerung gelangen muss, darauf scheint der Autor offenbar nicht zu kommen. Dass eine Hypothese ohne jeden empirischen Beweis als angeblich erwiesene Tatsache verteidigt werden muss, scheint mir da viel eher auf ein weltanschauliches Problem hinzudeuten. Intelligent-Design-Vertreter haben für ihre Evolutionskritik immerhin empirische Befunde vorgelegt – deren gezielte Nichtbeachtung durch Bücher wie dieses vorangetrieben werden soll. Warum sonst setzt ein Biologieprofessor alles daran, Evolutionskritik zu ersticken? Könnte man die Evolutionstheorie erfolgreich mit Argumenten verteidigen, müsste man wohl kaum zu solchen Methoden Zuflucht nehmen. Wer den freien Informationsfluss in der Wissenschaft blockiert, verteidigt immer eine Weltanschauung – so lehrt es uns jedenfalls die Geschichte.
Beim Lesen der wahrscheinlichkeits-theoretischen Ausführungen Kutscheras auf Seite 292 standen mir die Haare zu Berge. Seiner „Logik“ folgend, könnte man es so zusammenfassen: Es gibt unzählige Faktoren, die das Wetter beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens ganz bestimmter dieser Faktoren ist so gering, dass sie quasi gleich Null ist. Dennoch gibt es jeden Tag Wetter. Daher sei eine Wettervorhersage unsinnig. Kutschera verwendet als Beispiel Schneeflocken, die sich alle voneinander unterscheiden aber dennoch entstehen. Aua, das tut weh!
Fazit: Wer eine Überdosis Polemik, Diffamierung und Desinformation zu seinem Glück braucht, wird mit diesem Buch voll auf seine Kosten kommen. Wer am Thema „Evolution vs. Intelligent Design“ interessiert ist, kauft sich besser ein paar kompetente Bücher über Evolution und Intelligent Design und zieht dann seine eigenen Schlüsse. Ich hätte gern auch etwas positives zu diesem Buch geschrieben – fand aber leider nichts.